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Der Umstrittene

Der Umstrittene

Ein Erfahrungsbericht aus einem Journalismus-Kurs mit Professor Michael Meyen zeigt: Man kann von ihm Handwerkszeug und den aufrechten Gang lernen.

Der Anlass ist das Disziplinarverfahren, das die Landesanwaltschaft Bayern vor Kurzem gegen Meyen eingeleitet hat. Die öffentlich-rechtliche ARD — von den öffentlich-rechtlichen Medien wird später noch die Rede sein — schrieb dazu im Juli: „Die publizistischen Tätigkeiten des LMU-Professors Michael Meyen gelten als umstritten.“ Das laufende Verfahren ist nicht Gegenstand dieses Beitrags. Vielmehr versuche ich zu beschreiben, was ich in dem Kurs in der Oberpfalz gelernt und was ich mit Meyen als Dozent und als Mensch erlebt habe. Zum Verfahren erlaube ich mir so viel anmerken: Den Begriff „Disziplinarverfahren“ kannte ich bisher nur aus der DDR, aus der sowohl Meyen als auch ich stammen.

Auf den von Meyens Freier Medienakademie angebotenen Kurs bin ich Ende letzten Jahres gestoßen; seine medienkritischen Beiträge hatte ich bereits zuvor regelmäßig gelesen. Auch sein medienkritisches Buch „Die Propaganda-Matrix“ kenne ich. Kritik an den derzeitigen Medien ist keine Domäne von Meyen. Spätestens im September vergangenen Jahres ist das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Denn da erschien das Buch „Die vierte Gewalt“, das erste gemeinsame Buch der beiden Bestseller-Autoren Richard David Precht und Harald Welzer.

Der herausgebende Fischer-Verlag schreibt über das Buch auf seiner Seite: „Wie Massenmedien die Demokratie gefährden“ und weiter: „Was Massenmedien berichten, weicht oft von den Ansichten und Eindrücken großer Teile der Bevölkerung ab — gerade, wenn es um brisante Geschehnisse geht.“ Kritik an den derzeitigen Medien ist also durchaus etwas Normales. Medienkritik gehört, wenn man so will, heute zum Mainstream.

So berichtete beispielsweise die FAZ im Mai in einem Beitrag mit dem Titel „Vertrauen in öffentlich-rechtliche Medien deutlich gesunken“ über eine Langzeitstudie. Zur Erinnerung: Die öffentlich-rechtlichen Medien werden von uns allen finanziert; sie haben einen Bildungsauftrag und die Informationspflicht. Die Studie ergab ferner, dass nur 49 Prozent der Befragten, also weniger als die Hälfte, „vollständig oder eher“ der Aussage zustimmen, man könne den Medien vertrauen.

Im Juli hat der Herausgeber der Berliner Zeitung Holger Friedrichs eine Debatte zu dem Thema „Welche Standards sollten im Journalismus gelten?“ angeregt. Im Untertitel des Artikels heißt es: „Das Grundgesetz schützt die Freiheit der Presse. Doch wird diese Sonderstellung immer wieder missbraucht.“

Die meisten belassen es bei Kritik. Friedrichs ist eine Ausnahme. Genauso wie Meyen, der eine „Freie Medienakademie“ in der Oberpfalz ins Leben gerufen hat. Diese bietet nach eigenen Angaben „einen Raum, in dem unabhängig von Politik, Wirtschaft und Staat Journalismus trainiert und diskutiert werden kann“. Es gibt sowohl Online-Weiterbildungen als auch Präsenzkurse. Nachdem ich mir alle Vorträge auf der Seite angesehen hatte, viele sind von Meyen selbst, stand meine Entscheidung fest, an einem Präsenzkurs der Freien Medienakademie teilzunehmen.

Seit einem Jahr bin ich freier Autor und Journalist. Vorher war ich viele Jahre Berliner Taxifahrer, von Beruf bin ich Krankenpfleger. Meine Motivation für den Journalismus war ganz klar Notwehr gegen die oft falsche Berichterstattung sowohl von öffentlich-rechtlichen als auch der Mainstream-Medien. Auch weil mir als Journalist das Handwerkszeug fehlte, bewarb ich mich für den Kurs. Neben Kritik an den Medien spielte also auch die Wissensaneignung eine wichtige Rolle.

Ich fühlte mich sowohl von der Aussage „Unsere Trainings sind für Menschen gedacht, die weder ein Volontariat noch eine der Journalistenschulen durchlaufen haben, aber trotzdem professionell arbeiten möchten“ angesprochen als auch davon, wen Meyen selbst mit seiner Akademie erreichen möchte: „Menschen, die unzufrieden sind mit der Qualität der Leitmedien, es besser machen wollen und die Bereitschaft mitbringen, andere zu kritisieren und selbst Kritik auszuhalten. Drei oder vier Tage in Präsenz und dann als Autoren — für unsere Seite und für andere.“ Wobei mit „unsere Seite“ die Seite „Medien+“ der Freien Medienakademie gemeint ist.

Da die Nachfrage sehr groß war, wurden die Interessierten von Meyen auf zwei Kurse aufgeteilt. Ich gehörte dem zweiten Kurs an, dem der Älteren, von Anfang dreißig bis Ende sechzig. Wir waren 11 medieninteressierte Menschen beiderlei Geschlechts, die auch schon alle etwas veröffentlicht hatten. Unter ihnen waren unter anderem eine Polizistin, ein Physiker, ein angehender Philosoph, eine Heilpraktikerin und Regionalpolitikerin.

Die Lehrveranstaltungen fanden im lokalen Hotel statt, in dem es drei Konferenzräume gibt, die meisten der Teilnehmer übernachteten dort auch. Übernachtung und Verpflegung bezahlte man selbst, ebenfalls anteilig den angemieteten Konferenzraum. Die Veranstaltungen waren kostenfrei. Der erste Abend fand im Haus von Meyen im Ort statt, und das war bereits mehr als nur ein einfaches Kennenlernen. Denn jeder wurde von einem anderen Kursteilnehmer vorgestellt, der einen dazu vorher befragt hatte. Später sollten wir uns im Rahmen einer Lehrveranstaltung Günter Gaus im Gespräch mit Rudi Dutschke als Beispiel für ein Interview ansehen.

Der eigentliche Lehrgang begann am nächsten Morgen. Meyen vermittelte in komprimierter Form das wichtigste Handwerkszeug eines Journalisten. Dazu gehörte zunächst die Feststellung, dass es vor allem um Verständlichkeit geht, der Journalist sozusagen Übersetzer ist. Weiter ging es damit, dass das, was Journalisten berichten, die Realität nicht eins zu eins abbilden kann. Vielmehr ist es Aufgabe des Journalisten, die wichtigsten Informationen herauszufiltern, den Gegenstand von verschiedenen Seiten zu betrachten und dabei die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten nicht zu vergessen.

Zu den konkreten Lehrinhalten gehörten unter anderem Überschrift und Teaser sowie Dachzeile, Vorspann und Zwischenüberschriften. Ein Vorspann beispielsweise soll kurz sein, 150 bis 200 Zeichen, dafür sollen kurze Wörter und Sätze, möglichst keine Adjektive und nur starke Verben verwendet werden. Er soll zwei bis vier Sätze lang sein und darf vor allem nicht zu viel verraten. No-Gos sind Schachtelsätze, Nominalstil, Passivkonstruktionen, Abkürzungen, Fachbegriffe, Anglizismen, Floskeln und Füllwörter.

Im Kurs wurden Artikel sowohl von Mainstream- als auch von alternativen Medien ausgewertet. Wir fassten Texte zusammen, schrieben eigene Texte und teilten sie mit den anderen Kursteilnehmern; dazu bedurfte es einer gewissen Kritikfähigkeit, wie Meyen bereits auf seiner Seite beschrieben hatte. Aktuelle Berichte beispielsweise über das neue LNG (Erdgas)-Terminal in der Ostsee vor Rügen, wo Meyen herkommt, wurden besprochen und durchaus auch für gut befunden.

Kritik gab es nicht nur an den Mainstream-Medien, beispielsweise am Spiegel, an der Süddeutschen und der taz, sondern auch an den sogenannten Alternativmedien wie Multipolar, Manova (früher Rubikon) und Reitschuster.de. Meyen wies mehrfach darauf hin, dass auch die neuen, alternativen Medien nicht perfekt seien. Im Gegenteil seien sie immer in Gefahr, dieselben Fehler zu begehen, und man dürfe dies nicht aus den Augen verlieren.

Zum Schluss stellte jeder Kursteilnehmer ein Projekt samt Rechercheplan vor, das er demnächst in Angriff nehmen möchte. Darunter waren ein Reisebericht aus Kuba, der bald darauf auf der bereits erwähnten Seite „Medien+“ erschien, und ein Blog über die Region mit der Postleitzahl 83, der Anfang Juli unter dem Titel „Regio83“ online gegangen ist. Ich hatte mir ein Interview mit dem Psychotherapeuten und Bestseller-Autor Hans-Joachim Maaz vorgenommen, das Mitte Juli im Multipolar-Magazin veröffentlich wurde.

In den vier Tagen in der Oberpfalz sind wir Kursteilnehmer uns untereinander, aber auch Meyen menschlich nähergekommen. Der Umgang miteinander war von Anfang auf Augenhöhe, und es wurde auch über Privates gesprochen. Ein Kursteilnehmer berichtete beispielsweise von den Anfeindungen, denen er wegen seiner Berichterstattung in seinem Heimatort ausgesetzt war und ist. Michael Meyen, den ich als sehr selbstkritisch erlebte, habe ich meiner Frau — sie ist US-Amerikanerin — so beschrieben: „Akademiker zwar, aber aus dem Osten.“

Die Bundeszentrale für Politische Bildung schreibt über die Aufgaben der „vierten Gewalt“, womit Medien wie Zeitungen, Fernsehen, Radio und Internet gemeint sind, dass sie einerseits über das Handeln des Staates und seiner Institutionen informieren und andererseits durch ihre Berichterstattung aber auch das staatliche Handeln kontrollieren sollen.

Auch wenn die Medien ausdrücklich keinen staatlichen Auftrag haben, wie die Bundeszentrale betont, werden sie dennoch als „vierte Gewalt“ bezeichnet. Die Bundeszentrale dazu wörtlich:

„Gerade weil sie so viel Einfluss haben, müssen sie aber auch verantwortungsvoll damit umgehen. Faire Berichterstattung und ehrliche Information, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlt, sind Voraussetzungen dafür, dass die Medien ihrer Rolle als ‚vierte Gewalt‘ auch gerecht werden können.“

Dieser Herausforderung, Menschen möglichst fair und wahrheitsgemäß zu informieren, damit sie sich ihre eigene Meinung bilden können, sehe ich mich nach dem Kurs bei Meyen — von dem inzwischen sein neues Buch „Wie ich meine Uni verlor“ erschienen ist — mehr gewachsen als zuvor. Die Wissensvermittlung war für mich dabei mindestens genauso wichtig wie ihn und auch die anderen Kursteilnehmer persönlich kennenzulernen.


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